31.03.2020 EU-Millionenförderung für die Erforschung der menschlichen Farbwahrnehmung
ERC Advanced Grant für Gießener Wahrnehmungspsychologen Prof. Dr. Karl Gegenfurtner – 2,5 Millionen Euro für die nächsten fünf Jahre
Die Erforschung des Farbensehens grundlegend erneuern – um nichts weniger geht es dem Wahrnehmungspsychologen Prof. Dr. Karl Gegenfurtner bei seiner Arbeit an der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU). Um den Wissenschaftler und sein Team dabei zu unterstützen, fördert die Europäische Union Prof. Gegenfurtner in den nächsten fünf Jahren mit 2,5 Millionen Euro. Sein Antrag auf einen der begehrten ERC Advanced Grants für sein Forschungsprojekt Farbe 3.0 war erfolgreich.
Viele Aspekte der menschlichen Farbwahrnehmung sind bereits gut erforscht. So ist bekannt, wie Licht auf der Netzhaut in elektrische Signale umgewandelt wird. Auch die weitere Verarbeitung von Farbinformation im Auge ist auf neuronaler und rechnerischer Ebene weitestgehend verstanden. All dieses Wissen basiert jedoch auf eng begrenzten Untersuchungen mit einem einzelnen farbigen Licht im Dunkeln oder flachen, matten Oberflächen in einem einheitlich farbigen Umfeld.
Aber wie funktioniert die Wahrnehmung von Farben in der realen Welt, und welche Verarbeitungsprozesse laufen dabei im Gehirn ab? Was passiert bei der Farbwahrnehmung, wenn wir eine Blumenwiese betrachten oder im Supermarkt nach einem bestimmten Produkt suchen? Prof. Gegenfurtners Projekt Farbe 3.0 konzentriert sich auf die wichtigste Funktion der Farbe – nämlich darauf, Information über natürliche Objekte zu liefern, die dreidimensional und in ihre natürlichen Umgebungen eingebettet sind. Das Ziel ist es, die Farbwissenschaft auf reale Objekte in komplexen Szenen auszuweiten.
„Wir werden ein grundlegendes Verständnis der Schaltkreise gewinnen, die der Farbwahrnehmung in der realen Welt zugrunde liegen“, kündigt der Wahrnehmungspsychologe an, der ein neues Modell der Farbverarbeitung entwickeln möchte. Dazu wird er neueste Methoden der Virtuellen Realität einsetzen, die eine fotorealistische Darstellung unserer Umgebung erlauben. Die resultierenden Verhaltensdaten werden mit neuronalen Netzen („Deep learning“) modelliert und mit der Gehirnaktivität der Beobachter abgeglichen.
Die Forschungen könnten nicht nur zu neuen Erkenntnissen über die visuelle Verarbeitung führen, sondern auch zu einer besseren Farbwiedergabe und effizienteren Beleuchtungssystemen. „Mit dem Projekt ist ein Paradigmenwechsel verbunden“, betont Prof. Gegenfurtner, „weg von einem passiven Beobachter, der per Knopfdruck Eindrücke beurteilt, hin zu einem aktiv Handelndem, der sich in einer virtuellen Welt befindet und natürliche Aufgaben ausführt.“
Der Präsident des Europäischen Forschungsrates (European Research Council – ERC), Prof. Dr. Mauro Ferrari, betonte: “Ich freue mich, eine neue Runde von ERC Grants anzukündigen, mit denen wir bahnbrechende Grundlagenforschung unterstützen. Mit dieser Forschung werden Europa und die Welt besser für all das gerüstet sein, das die Zukunft mit sich bringen könnte. Die von uns geförderten Spitzenforscherinnen und -forscher werden in vielen Bereichen der Wissenschaft neue Wege beschreiten."
ERC Advanced Grants unterstützen bereits etablierte Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher, die neue, bahnbrechende Wege in ihrer Forschung gehen möchten. Advanced Grant-Kandidaten sollten in ihrem Forschungsgebiet eine herausragende Leistungsbilanz in den letzten 10 Jahren vor der Einreichung aufweisen. „Dass Prof. Gegenfurtner und sein Team diese Leistungsbilanz vorweisen können, ist in Gießen kein Geheimnis“, betonte JLU-Präsident Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, der sich über den enormen Drittmittelgewinn für die Universität sehr freute. „Die Wahrnehmungspsychologie gehört zu unseren forschungsstärksten Fachgebieten. Ich gratuliere Prof. Gegenfurtner sehr herzlich zu diesem besonderen Erfolg.“
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