26.03.2018 Advances in Research on Ischemic Brain Injury -
Symposium zum 80. Geburtstag von Prof. Dr. Dr. Josef Krieglstein in Marburg
Alle Bilder von Annika Culmsee
Mit einem Festsymposium wurden am 17. März 2018 in der Aula der Alten Universität die Leistungen von Prof. Dr. Dr. Josef Krieglstein für die Pharmazie und die Neurowissenschaften an der Philipps-Universität in Marburg gewürdigt. Professor Krieglstein leitete nach seiner Berufung 1974 mehr als drei Jahrzehnte das Institut für Pharmakologie und Toxikologie in Marburg und wirkte in drei Amtsperioden auch als Dekan des Fachbereichs Pharmazie. Namhafte Wissenschaftler aus Deutschland, Irland und Schweden gaben im Rahmen des Symposiums einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen der Schlaganfallforschung, die zu Krieglsteins Arbeitsschwerpunkten gehörte.
In seinem Festvortrag gab der Prodekan des Fachbereichs Pharmazie, Prof. Dr. Carsten Culmsee, den Festgästen einen Einblick in Krieglsteins beeindruckende Vita. Nach einer eher holprig gestarteten Schullaufbahn unter den schwierigen Bedingungen der Nachkriegszeit studierte Krieglstein an der Universität Erlangen-Nürnberg parallel Pharmazie und Medizin und schloss beide Fächer mit der Promotion ab. Nach dreijähriger Postdoktorandenzeit bei dem Pharmakologen Gustav Kuschinsky in Mainz folgte 1970 im Alter von nur 32 Jahren die Habilitation und nach weiteren wissenschaftlichen Erfolgen im Jahr 1974 der Ruf auf die Professur für Pharmakologie und Toxikologie in Marburg. Hier gründete Krieglstein das Institut und prägte das neu eingeführte Fach in Lehre und Forschung über mehr als drei Jahrzehnte. Die Mechanismen des neuronalen Zelltods nach zerebraler Ischämie und entsprechende pharmakologische Ansätze der Neuroprotektion gehörten zu den Forschungsschwerpunkten. Nach dem Ende seiner Tätigkeit in Marburg ging Krieglstein im Jahr 2006 an die Universität in Münster, wo er als Gastprofessor zusammen mit Prof. Susanne Klumpp die Funktionen von Histidin-Phosphatasen und die Rolle der Protein-Phosphatase-2c in der Pathogenese der Atherosklerose erforschte. Seine Forschungsergebnisse sind in hunderten von Publikationen in internationalen Fachzeitschriften dokumentiert und Zigtausend mal zitiert worden; in seiner Zeit als Wissenschaftler hat Krieglstein zudem an die 120 Doktorarbeiten betreut. Durch die regelmäßige Veranstaltung des „International Symposium on Pharmacology of Cerebral Ischemia“ in den Jahren 1986 bis 2004 hat Krieglstein Marburg auch fest auf der Landkarte der internationalen Schlaganfallforschung etabliert. Hier kamen im zweijährigen Rhythmus die Spitzenforscher aus aller Welt in Marburg zusammen, um über die neuesten Ergebnisse der Schlaganfallforschung zu berichten und zu diskutieren.
Die Vorträge des Festsymposiums am 17. März gaben im wissenschaftlichen Teil eine Übersicht über die aktuellen Entwicklungen der Schlaganfallforschung. Prof. Dr. Jochen Prehn, Direktor des Departments of Physiology und Centre of Systems Medicine am Royal College of Surgeons in Dublin, Irland, ist ein ehemaliger Schüler Krieglsteins und berichtete über die Mechanismen des Programmierten Zelltods in Neuronen. Er zeigte auf, wie es über die vermehrte Ausschüttung von Glutamat im Infarktgebiet zu einer Übererregung von Neuronen und über die folgende Entgleisung der Calciumhomöostase zum Untergang der Nervenzellen kommt. Dabei spielen offenbar die dauerhafte Aktivierung der AMP-abhängigen Proteinkinase (AMPK) und die Regulation von pro-apoptotischen BCL-2-Proteinen wie BIM eine zentrale Rolle. Diese Mechanismen könnten Angriffspunkte für neue pharmakologische Interventionen bieten, um so Hirngewebe nach einem Schlaganfall vor dem Zelluntergang zu schützen.
Prof. Dr. Dr. Johannes Boltze, Leiter der Medizinische Zelltechnologie am Fraunhofer Institut und des gleichnamigen Lehrstuhls an der Universität zu Lübeck erläuterte die Bedeutung von Großtiermodellen in der Schlaganfallforschung. Obwohl Nagermodelle in der Schlaganfallforschung zur Untersuchung von Mechanismen der ischämischen Hirnschädigung und von therapeutischen Strategien der Neuroprotektion vielfach erfolgreich verwendet werden, bestehen nach wie vor große Schwierigkeiten bei der Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen. Boltze hob in seinem Vortrag hervor, dass in Großtiermodellen, z.B. im Schaf die Hirnarchitektur und insbesondere der Anteil der weißen Hirnsubstanz dem menschlichen Hirn viel ähnlicher sind als in Maus oder Ratte. Damit sind wahrscheinlich auch die Mechanismen der ischämischen Hirnschädigung und insbesondere die Schädigung der weißen Substanz in solchen Großtiermodellen eher auf den Menschen übertragbar. Am Beispiel der therapeutischen Intervention mit inhalativ verabreichten NO zeigte Boltze auf, dass sich Befunde aus den Nagermodellen auf ein Schlaganfallmodell im Schaf übertragen lassen und hier auch die Infarktentwicklung über bildgebende Verfahren und Funktionsanalysen der Motorik kontinuierlich verfolgt werden können. Die Entwicklung der Großtiermodelle eröffnet neue Möglichkeiten in der Schlaganfallforschung mit großem Potential hinsichtlich erfolgreicher Übertragung therapeutischer Strategien auf den Menschen.
Durch einen Schlaganfall entsteht im Gehirn eine große Wunde, die neben dem Verlust der Nervenzellen auch durch eine massive Entzündungsreaktion gekennzeichnet ist. Prof. Dr. Tim Magnus, Neurologe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf erläuterte die Bedeutung inflammatorischer Prozesse im Infarktgeschehen. Infolge der Ischämie kommt es nach seinen Befunden zunächst zur Aktivierung der Mikroglia, also den immunkompetenten Zellen des Gehirns, und anschließend zur Einwanderung von neutrophilen Granulozyten, Makrophagen und Lymphozyten aus dem Blut. Magnus zeigte mit seiner Arbeitsgruppe, dass spezifische IL-17 Antikörper, die kürzlich auch in der Rheumatherapie eingeführt wurden, sowie mit Hilfe von anti-entzündlichen Antikörperfragmenten, den so genannten Nanobodies, die Infarktgröße deutlich vermindert werden konnte. Diese anti-entzündlichen Strategien in der Schlaganfallbehandlung sind in verschiedenen Labors in den Tiermodellen erfolgreich reproduziert worden und erste Befunde aus klinischen Anwendungen zeigen auch eine vielversprechende Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen auf.
Prof. Dr. Nikolaus Plesnila vom Zentrum für Schlaganfall- und Demenzforschung an der LMU München hob in seinem Beitrag hervor, dass bei einem ischämischen Schlaganfall und auch bei Hirnblutungen im wesentlichen pathologische Veränderungen der Hirngefäße zum Infarktgeschehen beitragen. So kommt es nach einer Hirnblutung zu vermehrten Mikrovasospasmen in tiefen Hirnbereichen, die eine Versorgung von funktionell aktiven Hirnregionen mit Blut, Sauerstoff und Nährstoffen erschweren. Die Folge ist eine Unterversorgung aktiver Hirnareale und eine Vergrößerung des Hirnschadens. Neueste Techniken der Zwei-Photonen-Mikroskopie haben erst in jüngerer Zeit Zugang zu den tieferen Gefäßen im Gehirngewebe ermöglicht und hier diese neuen Erkenntnisse zu der Entkopplung von neuronalem Energiebedarf und vaskulärer Versorgung ermöglicht. Durch diese Untersuchungen zur neuro-vaskulären Kopplung bieten sich ganz neue Möglichkeiten, die eigentliche Ursache der Ischämie, nämlich die Störung der Blutversorgung des Gehirngewebes über die pathologisch verengten Gefäße zu erforschen und neue therapeutische Strategien zu entwickeln.
Prof. Dr. Klas Blomgren ist Kinderarzt in der Onkologie des Frauen- und Kinderkrankenhauses am Karolinska Institut in Stockholm, Schweden und erforscht neurodegenerative Prozesse und Mechanismen der Regeneration im kindlichen und jugendlichen Gehirn. In seinem Vortrag ging er auf die besondere Empfindlichkeit des Gehirns in der Hirnentwicklung und -reifung bei Kindern und Jugendlichen ein, bei denen in der Pubertät ein massiver Umbauprozess mit deutlicher „Entwirrung“ zahlreicher Nervenverknüpfungen stattfindet. Die Empfindlichkeit des Gehirns gegen ischämische Schädigung und seine Regenerationsfähigkeit sind offenbar sehr vom Entwicklungsstadium abhängig. Blomgren griff in diesem Zusammenhang nochmals den Aspekt der Neuroinflammation auf und wies darauf hin, dass nicht die Mikroglia für eine chronische Entzündung nach einer frühkindlichen Schädigung des Gehirns verantwortlich ist. Die Mikroglia wird im kindlichen Gehirn nur vorübergehend aktiviert und geht dann wieder in einen inaktiven Überwachungsmodus über. Die weiterhin erhöhten Entzündungsparameter werden offenbar von anderen Zellen des Immunsystems aufrechterhalten. Die Kommunikation der Mikroglia mit dem Immunsystem und die Mechanismen der chronischen Entzündung sind ein wichtiger Schlüssel für künftige therapeutische Ansätze nach (frühkindlichen) Hirnschädigungen.
Die Forscher haben auf dem Festsymposium eindrucksvoll die aktuellen technischen und methodischen Möglichkeiten der Schlaganfallforschung aufgezeigt und zukunftsweisende Entwicklungen bei den Modellsystemen und den therapeutischen Strategien dargestellt. Neben den Mechanismen des neuronalen Zelltods stehen vor allem neuro-inflammatorische Prozesse und Veränderungen der neuro-vaskulären Kopplung im Fokus dieser Untersuchungen. Der Festakt zum 80. Geburtstag von Prof. Krieglstein hat so im wissenschaftlichen Programm auch an die von ihm begründete Tradition der Schlaganfallsymposien in Marburg angeknüpft. In den Pausen und beim abschließenden Empfang nutzten die ehemaligen Doktorandinnen und Doktoranden, Kolleginnen und Kollegen sowie weitere Weggefährten Krieglsteins die schöne Gelegenheit, an alte Zeiten zu erinnern und Neuigkeiten auszutauschen. Auch das derzeitige Tätigkeitsgebiet Krieglsteins war hier Thema – die abstrakte Malerei. Nach dem Ende seiner akademischen Laufbahn widmet sich Krieglstein mit großer Leidenschaft und Kreativität der Kunst. Er ist hier ungebrochen und mit großer Freude aktiv und hatte zum Festsymposium einige seiner Bilder im Kreuzgang der Alten Aula ausgestellt. In diesem Rahmen klang der Nachmittag der Erinnerungen an die gemeinsamen Zeiten und Erfolge an den Universitäten Marburg und Münster aus, in der schönen Gewissheit, dass für Josef Krieglstein noch viele Jahre der kreativen Aktivität folgen werden.
Kontakt
Prof. Dr. Carsten Culmsee
Prodekan des Fachbereichs Pharmazie
Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmazie
Philipps-Universität Marburg